Vom Suchen und nicht finden

Benjamin Kunkels Debütroman als pathologische Diagnose einer prekären Generation

Von Tobias TemmingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Temming

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit seinem Debütroman "Indecision", dessen deutsche Übersetzung "Unentschlossen" vor kurzem erschienen ist, trifft der Mitbegründer des New Yorker Kulturmagazins n+1 den Nerv der Zeit. Der in der Kultur- und Literaturszene als "Hot-item" gehandelte Kunkel erzählt von dem gescheiterten Akademiker Dwight Wilmerding, einem typischen Vertreter der 'prekären Generation'. Wie ein Beatnik der Postmoderne führt er ein vollkommen planloses Leben ohne Antrieb und Perspektiven. Als Parabel auf das ideologische Freibeutertum und die Chancen- und Perspektivlosigkeit der Jugend in der amerikanischen Gesellschaft der Jahrtausendwende entwirft Kunkel in der Figur des Dwight Wilmerding das Klischee eines dumm-naiven Amerikaners, für den östlich des Fulda-Gap noch immer alles kommunistisch ist. Würde man ihn bitten, die Weltwunder aufzuzählen, wären der Hoover-Damm und das World-Trade Center sicherlich dabei.

Dwights Leben ist geprägt von Orientierungslosigkeit, Gleichmütigkeit und vor allem der Unfähigkeit Entscheidungen zu treffen, die sich als ein etwas bemühtes Leitmotiv durch den ganzen Roman zieht. Nine-eleven wird im dekadenten Drogenrausch eines weltentfremdeten Pseudo-Bohémes inszeniert, dessen naive Weltanschauung Amerikas unmittelbare Zukunft poetologisch vorausdeutet. Das unbestimmte flaue Gefühl von Sinnlosigkeit in der Magengrube, das auch den Leser ergreift, wird zum Zeitzeichen einer auf dem Meer der Ungewissheit umhertreibenden Generation von Neo-Hippies der Jahrtausendwende. Ein vielversprechender Ausgangspunkt für Kunkels erstes Buch. Sein Roman ist der Versuch des Portraits einer neuen Jugendkultur, in der das Prekariat zum Kult mutiert. Wie bei jeder Jugendbewegung, die was auf sich hält, scheinen jedoch auch hier Sexorgien, Drogen und Musik nicht fehlen zu dürfen und sollen ihre selbsterfüllende, unterhaltende Wirkung entfalten. Nur so erklärt sich, dass der amerikanische Erfolgsproduzent Scott Rudin die Filmrechte für den Roman noch vor seinem Erscheinen gesichert hat. Wo Sex "sells", ist Hollywood nicht weit.

Nach einer Mitleid erregenden Bestandsaufnahme unseres Helden und dem anschließenden Scheitern einer psychologischen Familientherapie im Selbstversuch bleibt schließlich nur noch die Flucht. Kurvten die Beatniks der ersten Generation noch auf den Straßen zwischen Ost- und Westküste der USA, wird sie ihren heutigen Vertretern schon zu klein. Ihr Revier umfasst die Pisten der ganzen globalisierten Welt. Das digitale Adressverzeichnis von Freunden und Bekannten im Gepäck, begibt sich Wilmerding nach Ecuador, um dort auf das Einsetzen der Wirkung eines Medikaments zu warten, welches ein Freund ihm 'organisiert' hat und das angeblich die Entscheidungsfreude steigern soll. Die Wirkung lässt jedoch auf sich warten. Seine Pläne haben weiterhin kaum länger als einen Tag Bestand, und selbst die wichtigsten Entscheidungen muss ein Münzwurf für Dwight entscheiden.

Endlich wird es interessant, sollte man denken, doch beginnt mit der Erzählung über Ecuador der schwächste Teil des Buches. Die Beschreibung des Andenlandes wirkt statisch und monochrom, so dass man bezweifeln darf, dass der Autor mehr als nur den Discovery-Channel für seine Recherchen genutzt hat. Nach gelungener Prosa sucht man hier vergebens.

Je länger der Trip in den Urwald dauert, desto mehr beginnt auch der Plot zu schwächeln. Die Sinnsuche des Triebwesens Wilmerding beschränkt sich schon bald auf belangloses und oberflächliches Streben nach sexueller oder finanzieller Erleuchtung. Auch Kunkels zu Beginn noch so erbaulicher, leichtfüßiger und ironischer Sprachwitz nutzt sich nach der ersten Hälfte des Romans allzu schnell ab. Wie die Charaktere, so der Plot - allesamt dümpeln sie vor sich hin. An der oberflächlichen Naivität von Kunkels Figur können auch die immer wieder eingestreuten Heidegger-Reminiszenzen nichts ändern. Der intellektuelle Anstrich des Romans entpuppt sich zunehmend als willkürliches Politgeschwafel. Wilmerding, eher ein ideologischer Luftikus, definiert sich selbst als "Linker", würde aber am liebsten gleich sämtliche Nutzpflanzen vom Wegesrand seines ecuadorianischen Selbstfindungstripps in den Staaten patentieren lassen, um für immer ausgesorgt zu haben. Im letzten Kapitel endlich erläutert der personale Erzähler, er wolle mit diesem Buch für den demokratischen Sozialismus und Aufgeschlossenheit gegenüber Ausländern werben. Nach über dreihundert Seiten tut derartig aufgesetzte moralische Betroffenheit geradezu weh.

Versucht man den Text ohne die Vorschusslorbeeren der Mehrheit der kultverliebten Kulturjournalisten der USA und auch Europas zu beurteilen, bleibt das Ergebnis mäßig. Die insgesamt eher dünn-plakative Sprache Kunkels, mit unverblümter Sexualrhetorik àla Houellebecq großzügig ausgestattet, lässt sich eher einreihen in die schon abgeschriebene Popliteratur deutscher Autoren wie Stuckard-Barre und Co.

Zwar kommt Kunkels Entwicklungsroman recht rebellisch daher, doch hat der im Stile eines hippen Erlebnisberichts gehaltene Roman mit Protest nichts im Sinn. Kunkels Porträt-Versuch seiner Generation gelingt vielmehr als Querschnitt einer laschen Jugendpsychologie, deren Temperament mit den 68ern noch so viel gemein hat wie Nina Hagen mit Rudolf Scharping. Einen wirklichen Konflikt, mit der Vaterfigur etwa, gibt es jedoch nicht. Vater und Sohn - "als Familie völlig im Arsch" - bleiben trotz aller Widersprüche Kumpel. Der Scheidungs- und Lebensfrust des Vaters versieht die Beziehung zu seinen Bälgern zumindest mit einer gemeinsamen intellektuellen Basis. Gegenseitiges Mitleid und Zynismus sind in Kunkels Roman die Essenz der lakonischen Zweckbeziehungen zur Empfindung kaum noch fähiger Charaktere.

Aber was bleibt von Popliteratur die sich nicht auflehnt? Die "Dandys der Popmoderne", wie Iris Radisch die neuen Autoren nannte - brauchen wir sie wirklich? Dass die Jugend "im Arsch" sei, war über Platon bis Goethe und Thomas Mann bisher noch den denkenden Köpfen einer jeden Generation bewusst. Nur drückten sie sich besser aus. Der zum Kult-Autor erhobene Revoluzzer aus New York hat, wenn auch zunächst unterhaltend, im Grunde nichts Neues zu sagen. Das ermüdende Geschwätz von Sex und Drogen hat längst seinen Schockcharakter verloren. Wo es selbst für Politiker keine Peinlichkeit mehr ist, mal mit Drogen "experimentiert" zu haben, markieren die Verhaltensmuster ehemaligen Rebellentums beinahe schon Pflichtstationen auf dem Weg zum bürgerlichen Spießer und Limousinen-Fahrer. Der Roman bleibt ein Konglomerat unfertiger Thesen und Ideen, ein erstes Experiment eines talentierten Autors, bei dem zumindest die Ahnung von Understatement noch auf weit besseres hoffen lässt.


Titelbild

Benjamin Kunkel: Unentschlossen. Roman.
Bloomsbury Berlin, Berlin 2006.
313 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3827006805

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